Musik und Politik standen historisch immer in einem besonderen Spannungsfeld zueinander. Nachdem Musiker in ihrer Kunst in den meisten Fällen bewusst gesellschaftsrelevante Positionen vertreten, ergibt sich diese Dialektik zwangsläufig. Brisant war in diesem Verhältnis allerdings immer die Tatsache, dass Musiker oft von politischen Machstrukturen existentiell abhängig waren, und die Politik wiederum das gesellschaftsrelevante Potential der Musik für ihre Zwecke nützen wollte.
Im Grunde hat sich das Verhältnis zwischen Musik und Politik immer als Antinomie dargestellt, in dem Sinn dass jede Musik prinzipiell (gesellschafts-)politisch ist, jedoch nie ausschließlich politisch charakterisiert werden kann.
Im Folgenden dazu vielleicht einige illustrative Bespiele aus der Musikgeschichte:
Ein Paradebeispiel für die Verbindung zwischen Musik und Politik ist Mozarts Oper „Le Nozze di Figaro“. Beaumarchais war ein Sympathisant der Ideen der französischen Revolution und dies hat unter anderem dazu beigetragen, dass die politische Oper aufgeführt wurde. Wenn Figaro Cherubino mit sarkastischem Anklang über die angeblichen „Vorzüge“ des Krieges vorschwärmt oder dem Grafen vom Dienstpersonal die Grenzen seiner Macht aufgezeigt werden, sind das zutiefst politische Inhalte, die Mozart auch genüsslich mit süffisantem Soundtrack versieht. Aber daneben stehen genauso die großen seelischen Charakterportraits, die in der Form von Archetypen zeitlos Menschliches charakterisieren.
Musik und Politik spielt auch bei Beethoven eine Rolle, obwohl es ein ganz heikles Thema ist. Mit Sicherheit ist „Fidelio“ ein durch und durch politisches Werk, konkret inspiriert aus der Gedankenwelt der Aufklärung als Aufschrei gegen willkürliche Tyrannei. Wie bei der 9.Symphonie bleibt aber eine große Frage in welchem Kontext diese Message präsentiert wird. Wenn man sich ansieht von welch unterschiedlichen Staatsformen diese beiden Werke zu Feieranlässen gespielt wurden, muss man sich fragen, wie dehnbar Beethovens Humanismus wirklich gemeint war.
Musik und Politik könnte in Wagners Werken nicht präsenter sein. Der „Ring der Nibelungen“ gilt vielleicht als das politischste Werk der Musikgeschichte. Die Frage der Macht und vor allem des Machterhalts durchzieht die ganze Tetralogie. Dabei werden nicht nur unterschiedliche Strategien und Herangehensweisen aufgezeigt (von plumper Unterdrückung bis zur perfiden Manipulation), sondern vor allem Macht als Gegensatz zur Liebe positioniert, was der Handlung eine große universelle Ebene verleiht. Es bleibt die große Tragik in diesem Werk, dass schlussendlich alle Machtansprüche scheitern, und selbst die Liebe nur in Erinnerung an Entschwundenes fortleben kann.
Ein besonders komplexes Beispiel für den Einfluss von Politik auf Musik finden wir bei Dmitrij Schostakowitsch. Obwohl offiziell als systemimmanenter Komponist der UdSSR postuliert, hat er in seiner Musik unzählige Codes und Messages eingebaut, die sein Werk als einzigen Aufschrei gegen die tyrannische Unterdrückung seines eigenen Landes erscheinen lässt. Besonders konkret passiert das in der 10. Symphonie als Portrait von Stalin, aber auch in der „Leningrader“ Symphonie, bei der die Besetzung der Stadt durch nazideutsche Truppen als Symbol für die Unterdrückung im eigenen Land verwendet wird. Dabei offenbart sich ein großer Vorteil von speziell instrumentaler Musik: Dass nämlich aufgrund des fehlenden konkreten Wortsinns viele unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten gegeben sind, und vor allem, dass die entscheidende Kommunikationsebene auf der emotionalen Basis abläuft, die sich unmittelbarer Zensur entzieht.
Einen interessanten Kontrast im Spiegel herausfordernder politischer Umstände stellen die beiden Komponisten Karl Amadeus Hartmann und Carl Orff während der NS-Diktatur dar. Nicht nur auf biographischer Ebene ist der eine gezwungen, sein ganzes Werk in innerer Emigration (quasi für die Schublade) zu schaffen, während der andere vom System mit zahlreichen Ehren ausgezeichnet wird. Auch ästhetisch lassen sich die beiden ganz unterschiedlichen Welten zuordnen, der eine leise und dissonant hinterfragend, der andere hingegen oft laut und diatonisch polternd.
Ein besonderes Beispiel für Pazifismus im politischsten Sinn stellt Benjamin Britten dar, der mit seinem „War-Requiem“ das vielleicht bedeutendste Mahnmal gegen Krieg im 20.Jahrhundert geschaffen hat. Nach der Katastrophe des 2.Weltkriegs ist es ihm in dieser Musik gelungen, die ganze Unmenschlichkeit von nationalistischer Tyrannei in Töne zu fassen, und dabei sogar so etwas wie die Utopie einer möglichen Überwindung in den Raum zu stellen. Bei der Uraufführung dieser politischen Musik wurden mit der russischen Sopranistin Galina Wischnewskaja, dem britischen Tenor Peter Pears und dem deutschen Bariton Dietrich Fischer-Dieskau bewusst Solisten aus den ehemals verfeindeten Ländern ausgewählt.
Was all diese Beispiele der Zusammenführung von Politik und Musik aus der Musikgeschichte verbindet, ist der Umstand, dass die Inspiration zu einem Werk aus einer bestimmten politischen Konnotation entstanden ist. Dank der Macht der Musik ist es aber dann in jedem dieser Fälle gelungen, den unmittelbaren Anlass zusätzlich in eine allgemein menschliche Form zu transformieren und damit eine transzendentale Ebene zu erreichen.
Ich wünsche dem beeindruckenden Projekt „Resistenza – 8.September“ und seiner gesellschaftspolitisch so wichtigen Botschaft, ausgedrückt auf so vielen unterschiedlichen künstlerischen Ebenen und in Zusammenarbeit eines großartigen Teams, dass es genau diese Transzendenz zwischen Musik und Politik erreichen wird.
Christoph Campestrini, Dirigent in Wien