Film und Musik als Reaktion auf aktuelle und geschichtliche politische Situationen.
Bei der Beobachtung des österreichischen Nationalratswahlkampfes 2024 fällt weniger die Verquickung von Musik und Politik auf, als vielmehr die Plakatekampagne der rechtspopulistischen FPÖ. Die Slogans auf den Plakaten führen eine lange Tradition der dargestellten „Volksnähe“ der Partei fort, wie sie schon unter Jörg Haider gehandhabt wurde. Und doch sind die Slogans diesmal entlarvender. Ich zitiere: „Gemeinsam Kanzler“, „Ihr seid der Chef, ich Euer Werkzeug“ und zu guter Letzt „Euer Wille geschehe!“
Fatal erinnern die Slogans an Donald Trumps: „I am your retribution“. Was soll damit bezweckt werden? In welchem polit-und kulturhistorischem Kontext lassen sich derlei Einlassungen verstehen und was ist die Psychologie dahinter? Und zu guter Letzt, was hat das alles mit meiner Musik und Politik im Allgemeinen zu tun?
Psychologische Hintergründe
Zunächst einmal sprechen die Slogans den Wähler direkt an und erwecken das positive Gefühl der Mitbestimmung. Gerade Menschen, deren gefühlte gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit nicht zuläßt, dass sie sich selbst für wichtig und wertvoll halten, werden davon angesprochen. Der Wunsch, die soziale Position zu verbessern ist aber ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, welches durch den Vergleich mit anderen getriggert wird. Ziehen wir bei diesem Vergleich aber den Kürzeren, entsteht Neid. Ein Gefühl der Frustration und der Wertlosigkeit macht sich breit.
Der Begriff Neid hat in der europäischen Kulturgeschichte, insbesondere in Musik und Politik, aber auch im Film eine lange und komplexe Tradition. Er taucht in unterschiedlichen Kontexten auf, sei es in der Moraltheologie, der Literatur oder der politischen Philosophie. Besonders im Kontext der Arbeiterschaft und sozialer Bewegungen, etwa im Sozialismus, spielt der Neid eine ambivalente Rolle.
In Italien war die Arbeiterschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein zentraler Akteur in den sozialen Umwälzungen, die schließlich zur Herausbildung von Arbeiterparteien und Gewerkschaften führten. Der Sozialismus, der sich in Italien wie auch in anderen europäischen Ländern verbreitete, formulierte eine Kritik an den sozialen Ungleichheiten und dem Kapitalismus. Neid wurde in diesem Zusammenhang oft als eine Reaktion auf die ungerechten Verhältnisse verstanden, die den Reichtum in den Händen weniger konzentrieren, während die Massen in Armut und Unsicherheit leben.
Der Neid aus moraltheologischer Sicht
Dante Alighieri, der berühmte italienische Dichter und Autor der Divina Commedia, behandelte den Neid als eine der sieben Todsünden in seiner Darstellung des Fegefeuers (Purgatorio). In Dantes Kosmologie wird der Neid als zerstörerische Kraft dargestellt, die die soziale Harmonie untergräbt. Die Neidischen im Fegefeuer haben ihre Augen mit Draht verschlossen – eine symbolische Darstellung der Blindheit gegenüber dem Guten und der Fixierung auf das, was anderen gehört. Für Dante war Neid nicht nur ein persönliches Laster, sondern auch ein gesellschaftliches Problem, das soziale Ordnungen destabilisieren kann.
Der Neid als Motor der Politik
Diese moralische Verurteilung des Neides steht im Kontrast zur sozialistischen Interpretation, in der der Neid als verständliche und sogar legitime Reaktion auf die ungleiche Verteilung von Ressourcen gesehen wird. In sozialistischen Bewegungen wurde oft betont, dass das, was als Neid interpretiert wird, eigentlich ein gerechtfertigtes Streben nach Gerechtigkeit und Gleichheit ist. Neid war somit nicht nur ein individuelles Problem, sondern auch ein Symptom der strukturellen Ungerechtigkeiten des Kapitalismus.
Italien spielte eine besondere Rolle in der internationalen Arbeiterbewegung, besonders mit Figuren wie Antonio Gramsci, einem der führenden Theoretiker des westlichen Marxismus. Gramsci entwickelte das Konzept der kulturellen Hegemonie, um zu erklären, wie die herrschende Klasse ihre Macht durch die Kontrolle über die Kultur und das Bewusstsein der Arbeiter aufrechterhält. In diesem Kontext könnte Neid als eine Form des Bewusstseins verstanden werden, die von der Hegemonie beeinflusst wird – ein Gefühl der Unzufriedenheit, das jedoch nur dann produktiv wird, wenn es in eine kollektive politische Handlung überführt wird.
So kann Neid sowohl in der Literatur als auch in der politischen Theorie als eine ambivalente Kraft gesehen werden: einerseits destruktiv und zersetzend, andererseits als potenziell mobilisierende Kraft im Kampf für soziale Gerechtigkeit.
In jedem Fall scheint der Neid als politische Motivation im frühen 21.Jahrhundert sein Ventil nicht mehr in den Sozialistischen Bewegungen zu suchen. Wie an den Plakaten der FPÖ gut ersichtlich, geht es auch weniger um die Verteilung von finanziellen Ressourcen, sondern ganz eindeutig um die fiktive Beteiligung an der Macht. So lächerlich ein Slogan wie „Euer Wille geschehe“ auch ist, er wildert recht ungeniert in der Gefühlslage von Unterprivilegierten, in diesem Fall sogar mit deutlich katholischem Einschlag.
Aber kehren wir nochmals in das vorfaschistische Italien zurück und fragen uns, ob auch damals schon eine Neiddebatte den Aufstieg des Faschismus erleichterte. War der Neid gar Auslöser der Teilung des italienischen Sozialismus?
Die Teilung des italienischen Sozialismus im frühen 20. Jahrhundert war ein entscheidender Moment in der politischen Geschichte Italiens und spiegelt die Spannungen und Herausforderungen wider, die die Arbeiterbewegung und sozialistische Ideen in Europa damals prägten. Diese Spaltung verlief entlang ideologischer und strategischer Linien, die sich um Fragen des revolutionären Marxismus, des Reformismus und des aufkommenden Faschismus drehten.
Hintergrund des italienischen Sozialismus
Der italienische Sozialismus entstand Ende des 19. Jahrhunderts in einem politisch gespaltenen Land. Italien war relativ spät, im Jahr 1861, als Nationalstaat vereint worden, und die Industrialisierung entwickelte sich langsamer als in anderen europäischen Ländern. In diesem Kontext formierten sich erste sozialistische Bewegungen, die sich für die Rechte der Arbeiter, soziale Gerechtigkeit und die Überwindung der kapitalistischen Ungleichheiten einsetzten.
Die Italienische Sozialistische Partei (PSI) wurde 1892 gegründet und vereinte zunächst verschiedene Strömungen des Sozialismus: revolutionäre Marxisten, reformistische Sozialisten und radikale Gewerkschafter. Die PSI war eine der wichtigsten linken Parteien und gewann zunehmend Unterstützung in der Arbeiterklasse, insbesondere im industrialisierten Norden Italiens.
Spaltung zwischen Reformisten und Revolutionären
Die Spaltung des italienischen Sozialismus begann sich während und nach dem Ersten Weltkrieg zu intensivieren. Die traumatischen Erfahrungen des Krieges und die wirtschaftlichen und sozialen Krisen der Nachkriegszeit hatten Italien schwer erschüttert. Es kam zu massiven Streiks, Fabrikbesetzungen und Protesten, die als die „Biennio Rosso“ (Rote Jahre 1919-1920) bekannt wurden. In dieser Zeit forderte die Arbeiterbewegung tiefgreifende soziale Veränderungen, und revolutionäre Ideen gewannen an Boden.
Innerhalb der PSI traten jedoch zunehmend Spannungen auf:
- Reformisten, wie Filippo Turati, setzten auf eine allmähliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen und soziale Reformen durch parlamentarische Arbeit. Sie wollten das kapitalistische System nicht unbedingt stürzen, sondern es durch gesetzliche Maßnahmen verbessern.
- Revolutionäre Marxisten, inspiriert von der Russischen Revolution von 1917 und Figuren wie Antonio Gramsci, forderten hingegen eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft und einen revolutionären Umsturz des Kapitalismus. Dass sich dahinter auch ein tiefes Mißtrauen der eigenen Klientel gegenüber äußerte und auch ein Wissen um die Sprengkraft des Neides, hat wenig später die Sovjetunion bewiesen, welche der tatsächlichen Triebfeder ihrer Entstehung die größtmögliche Kontrolle des Individuums entgegensetzte.
Diese ideologischen Differenzen führten 1921 zu einer formellen Spaltung. Die radikaleren revolutionären Kräfte, darunter Gramsci und Amadeo Bordiga, gründeten in Livorno die Kommunistische Partei Italiens (PCI), die sich strikt am Vorbild der russischen Bolschewiki orientierte. Die PCI strebte eine revolutionäre Übernahme der Macht an, während die PSI unter den Reformisten eine gemäßigtere Linie beibehielt.
Aufstieg des Faschismus und die Krise des Sozialismus
Die Spaltung des italienischen Sozialismus schwächte die gesamte Arbeiterbewegung und ermöglichte es in der Folgezeit, dass der aufkommende Faschismus unter Benito Mussolini an Boden gewinnen konnte. Mussolini selbst war ursprünglich ein Mitglied der PSI, hatte sich jedoch von der Partei gelöst und den Faschismus entwickelt, der sich in seiner Anfangszeit noch als revolutionäre Bewegung darstellte, jedoch bald zur Verteidigung der kapitalistischen Interessen überging.
Der Neid im 1.Satz der Symphonie „Resistenza“:
Im Bewußtsein, dass der italienischen Resistenza Unrecht getan würde, wollte man ihre Beweggründe rein auf eine kommunistische Neiddebatte reduzieren, ist der 4. Teil des 1. Satzes auch um die positive melodische Botschaft des „Avanti popolo“ herum gruppiert. Musik und Politik gehen hier eine eher indirekte Allianz ein.
Schließlich waren nur 30% der Partisanen tatsächlich kommunistisch motiviert und 70% hatten ganz andere Beweggründe.
Und dennoch weicht der Klassenkampf aus keinem der Takte ganz. Da stimmen die 1. Violinen in Takt 123 ein höhnisches Gelächter an, fast erinnert der Duktus ein wenig an Schadenfreude. Und an anderer Stelle, schon 2 Takte später evozieren die Trompeten den Existenzkampf, der an dieser Stelle ja noch gar nicht eintritt, weder in Musik noch in der tatsächlichen Politik.
Zuletzt mündet der Neidteil im metallischen Gehämmer, welches wir aus Rheingold von Richard Wagner kennen. In Takt 136 stößt allerdings die Marimba dazu und evoziert mit „Zog nit keyn mol“ auch den jüdischen Partisanenkampf, der in der Literatur so beschämend wenig Resonanz fand.
Filmisch halten wir uns ganz an Dante Alighieri. Der Urmensch marschiert im Gleichschritt durch Industrieanlagen, er ist quasi nicht mehr allein, sondern die Vervielfachung seiner marschierenden Beine illustriert die protestierende Masse. Die Anfangs dargestellten Blätter um seine Augen verdecken diese allerdings zunehmend, sodass er im Dante’schen Sinn blind wird.
Ein Draht verschloss die Lider aller Sünder,
ganz gleich, wie man’s mit wilden Sperbern macht,
damit sie blind sich nicht mehr regen.
Divina comedia, Dante Alighieri, Purgatorio Canto XIII