Was sind wiederkehrende Topoi (Gemeinplätze) von autokratischen Regimen? Was kennzeichnet ihre Versprechungen? Analysiert man die hohlen Phrasen und das sinnentleerte Pathos stellt man sich doch immer wieder die Frage, was Normalbürger veranlasst, solche Parteien zu wählen.
Ein Blick auf die Agrarpolitik der faschistischen Partei Italiens (PNF) in den Jahren 1922-1943 läßt beispielhaft den Umgang mit Macht erkennen, wie ihn autokratische Regimes in aller Regel pflegen. Sehr häufig geht es dabei vordergründig um die Befriedigung von berechtigten Anliegen einer gesellschaftlichen Gruppe. Im Hintergrund dient das teilweise Entgegenkommen allerdings meist dem Machterhalt, ohne soziale Probleme damit aber fundamental zu ändern.
Italien ist trotz intensiver Bemühungen um Industrialisierung während der Giolitti Ära (1900-1914) nach dem Weltkrieg immer noch großteils ein Agrarland. Der Anteil der Werktätigen aus dem Agrarsektor an der Gesamtheit der Werktätigen beträgt noch 1921 54,7%, was im europäischen Vergleich enorm hoch ist, beträgt er zum selben Zeitpunkt in Frankreich 38%, in Deutschland 30% und in Großbritannien gerade einmal 7%.
Das Durchschnittseinkommen der Landbevölkerung liegt in manchen Regionen weit unter dem Existenzminimum. Landwirtschaftlicher Boden ist in Nord-und Süditalien fest in den Händen von Großgrundbesitzern.
Aufgrund dieser desaströsen Situation erkennt die PNF, obwohl sie als städtische Bewegung zunächst mit der Landbevölkerung fremdelt, dass großsprecherische Ankündigungen unter der Landbevölkerung durchaus politisch hilfreich sein können.
Dabei befindet sie sich in einer politisch äußerst heiklen Lage. Die Finanziers der Partei stammen großteils aus dem Geldadel und damit auch aus den Reihen der Großgrundbesitzer. Dort will niemand über Lohnerhöhungen der billigen Landarbeiter geschweige denn Enteignungen nachdenken.
„La terra a chi la lavora e a chi la feconda“.
„Land soll denjenigen gehören, die darauf arbeiten und es bewirtschaften.“ Die Realität sieht allerdings grundlegend anders aus. Zwar erhöht sich in den Jahren 1911 bis 1931 die Zahl der Besitzbauern von 1,1 auf 2,4 Millionen, der Großteil der „Landnahme“ erfolgt allerdings unmittelbar nach dem Krieg, als Großgrundbesitzer infolge der wirtschaftlichen Unsicherheit Land abgeben. Nach 1922 zeigt die Kurve der „Neubesitzer“ bereits steil nach unten. Dies auch vor allem aufgrund der marktliberalen faschistischen Wirtschaftspolitik, welche Subventionen in nie gekanntem Ausmaß streicht und das Überleben in Winzigbetrieben nahezu unmöglich macht.
Anders dagegen die uferlose Propaganda, die jede Symbolpolitik zur epochemachenden Reform erklärt. Schlagworte wie „Ruralismus“, Battaglia per il grano“ (Schlacht um den Weizen) oder „Bonifica integrale“ (also die Urbarmachung nicht landwirtschaftlich genutzter Flächen) schwirren durch die Öffentlichkeit und vermitteln den Eindruck, dass sich das Regime tatsächlich der Landbevölkerung annimmt. Das Gegenteil ist wieder einmal der Fall: bereits 1922 wird das Landwirtschaftsresort aufgelöst und in ein generelles Wirtschaftsministerium überführt.
Selbst Propagandamaßnahmen wie die als Ruralismus bekannte „Hinwendung“ zur Landbevölkerung, welche als ideologisch perfekt dargestellt wird, scheitern kläglich, nicht nur weil der Zeitgeist (Landflucht aufgrund des zunehmend als bedeutungslos empfundenen Landlebens) dagegen spricht, sondern weil auch vom Regime keine geeigneten Gegenmaßnahmen gefunden werden.
Wie so oft in autokratisch geführten Staaten erkennt ein Bevölkerungsteil, der große Hoffnung in einen wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg durch einen Regimewechsel legte, zu spät, dass eben dieses Regime sich gerade nicht um seine Bedürfnisse kümmert. Oder drastischer formuliert: die Schafe wählen ihre eigenen Schlächter. Der sich nach 1943 formierende Widerstand, welcher auch und gerade von der Landbevölkerung getragen und erlitten wurde, kam zu spät. Hätte sie früher reagieren können und sollen? Wir wissen es nicht.
Fast könnte man versucht sein, eine Parallele zu den Bauernprotesten der vergangenen Wochen zu sehen. Auch hier haben offenkundig demokratiefeindliche Elemente versucht, den eigentlich friedlichen Protest für ihre sinistren Absichten zu benutzen. Noch haben die Bauern in Deutschland widerstanden.
Dass dem Bauernstand in unserer Symphonie und dem dazugehörigen Film die Todsünde der Faulheit zugerechnet wird, kann natürlich drastisch mißverstanden werden. Gerade dieser Stand zeichnet sich durch beständige harte körperliche Arbeit aus und keinesfalls soll hier der Eindruck entstehen, dass Faulheit ein Kennzeichen irgendeines Standes ist. Und doch läßt einen die Geschwindigkeit, mit welcher gerader diese Bevölkerungsschicht in Zeiten des italienischen Faschismus in ein Lager wechselte, das ihren ureigentlichen Interessen diametral entgegenstand, an der Durchdachtheit dieser multiplen Entscheidungen zweifeln. Als Faulheit wollen wir aus gutem Grund die Trägheit des Denkens und die vorschnelle Entscheidungen für populistische Angebote verstanden wissen. So beginnt die Auseinandersetzung mit dieser Todsünde im Takt 16 auch mit einem dem Siciliano verwandtem Rhythmus, welchem aber der typische 6/8 Takt fehlt und der sich erst nach einigem Zögern zu einem ¾ Takt durchringen kann. Der Tanz beschleunigt sich dann zusehends und wird dabei zu einer kumulativem Rasen, welches der von Dante im Purgatorium vorgesehenen Strafe für Faulheit entspricht. Filmisch muss der Landmann dabei die zusehends schneller wachsende Saat bewältigen, bis er erschöpft liegen bleibt.
„Die Eile drängt uns unaufhaltsam vorwärts, Rast ist uns nicht gegönnt; verzeih deshalb, wenn die gerechte Strafe dir bäuerlich Benehmen scheint.“
Divina comedia, Dante Alighieri, Purgatorio Canto XVIII
Alfred Huber, Komponist und Arzt in Kempten/Allgäu