Unser Konzept
Musik und Film gemeinsam sollen also unser Anliegen transportieren. Wie aber sollen Musik und Film dies bewerkstelligen? Dazu ein paar grundlegende Gedanken:
Der Mensch als politisches und soziales Wesen ist seit Jahrtausenden ein Topos der Philosophie. Nach Aristoteles geht die Suche nach einem „guten Leben“ einher mit der Staatenbildung und der Entwicklung des Menschen zum sozialen und damit politischen Wesen. Fast 2 ½ Jahrtausende sind seit dieser Feststellung vergangen und einem „guten Leben“ für alle waren wir (zumindest in unseren westlichen Demokratien) noch nie so nahe wie in den vergangenen 80 Jahren.
Dennoch verdunkelt sich dieses Bild im letzten Jahrzehnt zusehends und allenthalben wird von einer Krise des Westens gesprochen. Aberwitzige Heilsversprechen wechseln sich mit Verschwörungstheorien ab und die Protagonisten des rechten wie linken Lagers, welche sich nach dem letzten Krieg zu einem scheinbaren Konsens zusammengefunden hatten, gehen mit schonungsloser Härte auf einander los. Oft scheint es, dass es uns zu gut geht und wir in absurder Hybris denjenigen herausfordern wollten, der für die Benefizien der letzten Jahrzehnte verantwortlich war, nämlich uns selbst und unsere Mitmenschen.
Soziale – oder Bildungskrise?
Dabei zeigt sich flächendeckend in allen Demokratien westlichen Zuschnitts ein ähnliches Bild. Bürger bildungsfernerer Schichten neigen eher utopischen Versprechen politischer Parteien zu, als die von manchen politischen Demagogen zur „selbsternannte Eliten“ erklärten Menschen. Dabei ergibt sich ein paradoxes Ergebnis: eher einkommensschwache Menschen neigen dazu, Politiker zu wählen, die ihnen das genaue Gegenteil von dem versprechen, was ihre früheren Interessenvertreter für sie erreichten oder erreichen wollten. Oder anders herum: was bewegt einen Menschen in prekären finanziellen Verhältnissen dazu, jemanden zu wählen, der ihm unter dem Strich eine Zunahme seines Prekariats verspricht?
Die Kampflinien müssen sich also verschoben haben. Das materielle Missverhältnis und sein Leidensdruck ist einem Leidensdruck aufgrund mangelnder Bildung und daher mangelnder politischer Teilhabe gewichen. Da genau das unter anderen die meisten rechtspopulistischen Parteien begriffen haben und diese Saite virtuos bespielen, eilen sie von Wahlerfolg zu Wahlerfolg.
Angesichts dieser Massenbewegungen fühlt sich das Individuum machtlos. Vielleicht sind wir dazu verdammt, einfach nur Zuseher zu sein, vielleicht sind wir auch nur Teil einer zyklischen Abwärtsbewegung, welche letztlich auch irgendwann wieder in eine Aufwärtsbewegung übergehen wird?
In jedem Fall muss es um Bildung gehen, und zwar nicht nur Bildung im Sinne von Akkumulation von Wissen, sondern auch um jene Art Bildung, welche man im 19. Jahrhundert noch „Herzensbildung“ nannte, also die Fähigkeit, sich in das Gegenüber einzufühlen, auch den politischen Gegner leben zu lassen und letztlich die Täter und Opfer der Vergangenheit in einer Art emphatischer Geschichtsschreibung zu verstehen.
Auslöser
Angesichts der multiplen Krisen der Gegenwart starteten wir in einem der Covid-bedingten Lockdowns unser Projekt Resistenza, zunächst in innerfamiliären Diskussionen, laufend aber erweitert durch Hereinnahme von Meinungen von Freunden, musikalischen Arbeitskollegen und Studienkollegen, sowie Professoren aus dem Sektor Digital Arts. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Gruppe unserer „Musen“ von Monat zu Monat wuchs. War es zunächst noch ein allgemeines Unwohlsein angesichts des populistischen (rechten wie linken) Zeitgeistes, der uns vorantrieb, so war spätestens ab dem 24.2.2024, dem Einmarsch von Russland in der Ukraine, klar, dass auch ein machtloses Individuum sich den Zeitläuften stellen muss und Position beziehen kann.
Die mehrheitlich von Russland, aber leider auch immer wieder von Politikern des Westens dümmlich vorgetragene wechselseitige Behauptung, der Gegner sei faschistisch oder gar nationalsozialistisch, lässt nur einen Schluss zu. Der Begriff Faschismus wird mittlerweile so inflationär verwendet, dass er, angewandt auf eine bestimmte Personengruppe, nur falsch sein kann und sozusagen eher die subjektive Vorstellung eines allgemeinen „Bösen“ transportiert, als ein wissenschaftlich korrekter Begriff zu sein. Diesbezüglich sehr hilfreich ist die Lektüre von Roger Griffins „Fascism: An Introduction to Comparative Fascist Studies“.
Neue Musik und Film
Wie verknüpft man aber nun Politik, Film und Musik? Im Unterschied zur Wissenschaft, welche Theoreme prüft, verwirft oder bestätigt, meist faktenbasiert arbeitet und oft auch nicht auf Statistiken verzichten kann, ist die Kunst intuitiv, sie kann sich von Wissenschaft wohl inspirieren lassen, beantwortet aber keine Fragen, sondern stellt diese. Kunst verwendet Chiffren und Metaphern und ist deshalb oft nicht selbsterklärend. Ganz besonders gilt dies für die Musik.
Die Verwendung eines zweiten Mediums, in unserem Fall des Films, kann zur Erklärung beitragen, kann aber auch, werden hier wieder (diesmal optische) Chiffren und Metaphern verwendet, den Inhalt noch rätselhafter machen. Wir waren uns von Anfang an bewußt, dass eine solche Vorgehensweise das Publikum vor gewisse Herausforderungen stellen musste.
In diesem Sinne haben wir versucht, Kontexte herzustellen, welchen manchen als Kategorienfehler erscheinen mögen, uns aber halfen, die schier unbewältigbare Menge an Daten zu bündeln.
Musik und Film als Metapher
Damit sind wir sozusagen direkt beim 1. Satz der Symphonie gelandet.Grundsätzlich bevorzugten wir von Beginn an die italienische Seite des Faschismus. Adornos „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“ war nur allzu präsent. Die Monstrosität des deutschen Vorgehens in
dieser Zeit entzieht sich regelrecht jeder Vorstellungskraft und verhindert damit auch bis heute
jeden Akt der künstlerischen Darstellung.
Gewalt macht dem Künstler ja generell die Darstellung schwer, doch gibt es eine Art von Gewalt, welche in der Natur der Musik angelegt erscheint und den künstlerischen Zugriff durchaus ermöglicht.
Betrachtet man zudem aktuelle populistische Standpunkte und die Argumente der frühen Faschisten der 20er Jahre, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es dabei grundsätzlich fast immer um niedrigste menschliche Neigungen, wie Neid, Gier, Faulheit, Stolz, Wollust und Zorn geht. Der Rekurs auf die klassischen christlichen Todsünden, wie sie auch Dante Alighieri in seiner Divina comedia drastisch mit Strafen belegt, war daher naheliegend.
Überhaupt Dante! Sein machtloses Anschreiben, seine persönliche „Resistenza“ gegen eine florentinische Politik, die in seinen Augen entmenschlicht und grausam war, spannte ab Beginn der Verfilmung der Symphonie ihren Bogen über die Thematik und gab die Chiffren und Metaphern vor.
1.Satz
So wurde der 1. Satz gleichsam musikalisch und filmisch ein Traum des Dichters, der vor den katastrophalen Auswirkungen dieses menschlichen Fehlverhaltens warnt. Im 13.Jahrhundert führten diese Verfehlungen zunächst zu einem Machtgewinn von Florenz, um später in die völlige politische Bedeutungslosigkeit zu münden. Das 20. Jahrhundert hatte für Italien ein ähnliches Schicksal bereit, allerdings quasi im Zeitraffer.
Dante selbst tritt dabei mehrfach auf und wird als Protagonist der „Herzensbildung“ am Ende des 1. Satzes von Mussolini in den Abgrund gestürzt. Zuvor werden exemplarisch an einem Urmenschen die Auswirkungen von Faulheit, Wolllust (der Macht), Gier, Neid, Zorn und Stolz dargestellt. Musikalisch bewegen wir uns dabei zwischen einer Art musikalischer Chiffrenbildung als Akt der persönlichen Psychohygiene und klassischer Programmmusik unter Verwendung verschiedener Kompositionstechniken. Sowohl Film wie auch Musik sollen allein stehen können, sich aber im Idealfall einer gemeinsamen Aufführung ergänzen.
Bezogen auf die Divina comedia befinden wir uns im Purgatorium.
2.Satz
Die Sünden sind noch rückgängig zu machen, wohingegen der 2. Satz in rasantem Tempo in die Katastrophe führt und somit dem Inferno nachempfunden ist. Der Aufstieg des Faschismus ist nun unumkehrbar. Die berüchtigte Rede Mussolinis zur Rechtfertigung der italienischen Rassegesetze in Triest 1938 wird zum rhythmischen Modell des Trompeteneinsatzes bereits in Takt 9. Von da an geht es zwar musikalisch noch ein wenig aufwärts, die Resistenza hatte sich noch nicht flächendeckend formiert. Ab Takt 63 setzt aber eine Lawine ein, die unter sich alles begräbt. Während des minutenlang anhaltenden Abstiegs werden nochmals die (im Sinne von Roger
Griffin) klassischen Mythen des Regimes evoziert (kulturelle Überlegenheit, Zentrum der Weltkirche, die Vittoria muttilata des 1. Weltkriegs (eine Entsprechung zur deutschen Dolchstoßlegende) und zuletzt das intellektuelle Konzept des Futurismus).
Alles endet in einer Orgie aus Blut und Gewalt. Hier (ab Takt 153) regiert die Hölle der Gewalttäter und der Verräter. Wie auch das Inferno endet der 2. Satz nicht mit den Gewalttätern und ihrem Blutstrom, sondern in der Kälte des Verrats. Davon ist auch die Resistenza nicht ausgenommen. Es erfrieren am Ende alle und nur die Hoffnung auf eine bessere Zukunft leitet zuletzt zum 3.Satz über. Der 2. Satz endet mit der Partituranweisung „scharf abreissen“.
3.Satz
So klar, wie sich manche heute den 25.4.1945 vorstellen, war es aber nicht. Der Krieg beendete, die multiplen Fehden und gegenseitigen Gewaltanwendungen gerade eben nicht. Man vermutet, dass mindestens noch 10.000 Menschen im Rahmen der Nachkriegsgewalt im Sinne von Rache und Gegenrache ums Leben kamen. Manche faschistischen Gewalttäter wurden noch während ihres Prozesses an den „corti d’assise“ (den Schwurgerichtshöfen) von der Menge im Gerichtsgebäude gelyncht.
Der italienische Staat hatte einen schweren Beginn. Die musikalischen Themen des 1. Satzes nehmen wieder Gestalt an, sie sind nur jetzt tonaler und damit beruhigter gestaltet. Der Wiederaufbau ist in aller Interesse. Der Fokus aller liegt jetzt auf der Gestaltung des zukünftigen Staates. Soll er wieder eine konstitutionelle Monarchie wie vor dem Krieg oder eine Republik werden? Die Kräfte der Vernunft siegen 1946, die Monarchie wird abgewählt, ab Takt 25 übernimmt eine mehrstimmige Fuge langsam das Heft des musikalischen Handelns.
Nur die Flutkatastrophe des Jahres 1953, die fast zum Erliegen des republikanischen Kompromisses geführt hätte, kann nochmals in chaotische Zeit zurückführen. Ab dann beginnen jene 70 Jahre, auf die wir heute zurückblicken.
Fragen an die Zukunft
Ist es in diesen Jahren gelungen, die Menschen vom Wert der Vernunft zu überzeugen?
Kann eine Partei, wie die Fratelli d’Italia, den Weg der italienischen Verfassung weitergehen? Wie steht es mit den anderen populistischen Parteien in Europa ? Stehen wir vor einer Normalisierung und Einbindung dieser Parteien in den Verfassungsbogen oder vor einer neuen faschistischen Welle? Niemand weiß es und solange dies so ist, sollten wir wachsam sein. Dante hat seinen Fiebertraum ausgeträumt. Sein Gesichtsausdruck bleibt skeptisch, der Tanz der Sterne, mit welchem sein Paradiso endet, hat einige dunkle Flecken.
Dieser Skepsis ist unser Op.39, Resistenza gewidmet.