Kirche und Faschismus – eine verhängnisvolle Affäre.
Welchen Anteil haben Institutionen am Entstehen und Erhalt von autoritären Systemen? Was war der Grund, warum sich Kirche und Faschismus einigten?
Die Lektüre von Kertzers „Der erste Stellvertreter“ ließ mich perplex zurück. Die Fülle von Details und das atemberaubende Staccato der Ereignisse, die zu den Lateranverträgen 1929 und zu den Rassegesetzen 1938 in Italien führten, lassen eine Schwarz-Weiß-Sicht auf politische Ereignisse nicht zu. Die Dichte von Entscheidungen, Reaktionen und Gegenreaktionen lassen sogar den Schluss zu, dass das Individuum die Folgen seiner Einzelentscheidungen gar nicht absehen konnte. Demzufolge wird auch eine Ex-post-Bewertung den Protagonisten nicht gerecht. Dies gilt sowohl für den damaligen Papst Pius XI als auch für die Masse der Würdenträger zweiter Reihe auf Seiten der Kirche.
Dennoch bleibt das Gefühl, dass die damals wesentlichste moralische Instanz Europas in entscheidenden Momenten auf ihrem ureigensten Gebiet versagt hat. Fast zwangsläufig hat sie damit zu ihrem heutigen Sturz in die moralische und politische Bedeutungslosigkeit beigetragen.
Überblick:
Aber lassen wir die Ereignisse in einer Art Schnelldurchlauf Revue passieren!
Als das Italien modernen Zuschnitts in den frühen 60ern des 19.Jhts langsam seine Form annahm, war es zunächst entschieden antiklerikal. Seine Verfassung galt als ausgeprägt laizistisch. Selbst das revolutionäre Frankreich hatte keine so drastische Trennung von Kirche und Staat vollzogen.
Die Eroberung Roms 1870 und die Verlegung der italienischen Hauptstadt von Florenz nach Rom machte den Papst zum „Gefangenen im Vatikan“. Die antimodernistischen, anitliberalen Kräfte im Klerus wurden damit aber erheblich gestärkt. Den Gläubigen wurde verboten, an Wahlen teilzunehmen, der König sogar exkommuniziert.
Das Mißtrauen zwischen Kirche und Staat schwelte als „römische Frage“ über Jahrzehnte dahin. Als Achille Ratti schließlich im Jahr 1922 vom Conclave zum Papst gewählt wurde, war dies nur eine logische Konsequenz daraus. Sein Name: Pius XI. Im gleichen Jahr putschte sich auch ein gewisser Benito Mussolini durch den Marsch seiner Schwarzhemden auf Rom an die Macht. So ungleich die beiden Männer an die Macht gekommen waren, so ähnlich waren sie sich in ihrer Ablehnung des Liberalismus und der liberal verfaßten Demokratie. Schnell begriffen sie, wie nützlich sie einander werden konnten und Kirche und Faschismus in eine Art symbiotische gegenseitige Tolerierung überführen konnten.
Der Griff zur Macht:
Als Mussolini nach der Ermordung Matteottis 1925 endgültig zum „Duce“ wurde, kam dem Diktator die Einigung mit der wesentlichsten sozialen und moralischen Institution des Landes sehr gelegen. Selbst die Differenzen um die beiden Jugendorganisationen „Katholische Aktion“ und „Balilla“ konnten die Einigung in Form der Lateranverträge 1929 nicht aufhalten. Fortan war die Kirche in Italien wesentlicher Bestandteil des illiberalen Staates. Beständig blieb sie bemüht, ihre moralischen Forderungen dem Staatsbürger aufzunötigen. Sogar die von ihr initiierte Volkspartei unter Luigi Sturzo wurde zugunsten der faschistischen Partei in den Hintergrund gedrängt. Angeblich stand sie der Einigung in der „römischen Frage“ im Wege. (Erinnert uns die Geschichte bis hierher nicht stark an das illiberale Ungarn heutigen Zuschnitts?)
Rassengesetze (wo sich Kirche und Faschismus nicht einigen konnten):
Über der herzlichen Einigkeit zwischen Kirche und Faschismus zogen erst 1933 dunkle Wolken auf. Der deutsche Rassenwahn warf von Beginn der nazionalsozialistischen Herrschaft an seine dunkle Schatten auf Italien. Mussolini, dessen Haltung zum Anitsemitismus in den Jahren davor allenfalls als ambivalent beschrieben werden kann, fühlte sich durch die ideologische Nähe zum großen Bruder im Norden zunehmend genötigt, das Rassekonzept der Nazis auch auf Italien zu übertragen. Ganz im Tenor der katholischen Kirche übernahm der Duce zwar die unzulässige Gleichstellung von Kommunismus und Judentum. Ein rassischer Antisemit war Mussolini aber nie. Die Kirche, seit Jahrhunderten auch nicht unbedingt philosemitisch, hatte noch nie Einwände dagegen gehabt, die jüdische Religion zurückzudrängen. Als erster „global player“ der Geschichte allerdings konnte sie sich den Rassetheorien der Nazis auch nicht vorbehaltlos anschließen. Man wollte sich ja nicht zukünftige Schäfchen verprellen. Ein zähes Ringen um die Verabschiedung der italienischen Rassegesetze setzte ein.
Nimmt man die teilweise heftige Opposition von Pius XI ernst (mehrmals drohte er vor dem Hintergrund der drohenden Gesetze, die Lateranverträge zu kündigen) und beobachtet die diplomatischen Bemühungen der Kirche insgesamt, so fällt einem die große moralische Biegsamkeit vor allem der zweiten Ebene der Kirchenhierarchie auf. Man kann es Diplomatie oder Feigheit nennen. Manche würden sogar abwiegelnd sagen: Wo Menschen sind, menschelt es.
Nimmt man allerdings den „Radikalen Universalismus“ ernst, den Omri Böhm in seinem grandiosen Buch propagiert, so können Verhandlungen über die Gleichheit von Menschen nur zynisch anmuten. Die bedenkliche Nähe von Religion und staatlicher Macht wird dabei mehr als offenbar.
Aktuelle Situation:
Unter dem Eindruck des G7 Gipfels vom 13. zum 15.6.2024 läßt sich sogar sagen, dass die katholische Kirche auch aktuell gute Beziehungen zur derzeitigen rechten Regierung unter Giorgia Meloni haben muss, ist doch nur so die Weigerung Italiens zu verstehen, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in die Schlusserklärung des Gipfels zu übernehmen.
Die Verabschiedung der italienischen Rassegesetze 1938 bleibt also, um in den Worten Böhms zu verharren, das „Kainsmal der katholischen Kirche“, selbst unter der Prämisse, dass Pius XI offenbar Einiges tat, um diese zu verhindern.
Die deutsche katholische Kirche hingegen hat offenbar aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Mit großer Klarheit verurteilt sie am 22.2.2024 den völkischen Nationalismus, welcher auch in Deutschland wieder um sich greift. Aber ist die Kirche auch bereit, wenn es notwendig wird, dafür zu kämpfen? Wir wollen es hoffen!
Film und Musik:
In Film und und Musik der Symphonie Op.39 „Resistenza“ wird ab Takt 51 die Kirche und ihr problematisches Verhältnis zum Faschismus thematisiert. Dem langsamen Fortgang der Musik wird sozusagen kontrapunktisch ab Takt 61 ein Tutti Tremolo der Streicher gegenübergestellt. Die eingangs noch pastorale Stimmung schlägt um durch ein kraftvolles Accelerando und punktuell eingesetzte Sforzzati von Holz-und Blechbläsern. Filmisch wird dies begleitet durch einen zunächst würdevoll schreitenden Bischof, welcher nach einem Zusammentreffen mit einem Kind in Flammen aufgeht.
„Verbrennen fettgetränkter Stoffe läßt die Flamm am äußeren Rand nach oben züngeln, so brannte hier das ganze Bein.
Vom Meister wollt ich wissen, wer jener sei, der mehr in Qualen zuckt’ als die Konsorten und dessen Flamme röter brannte.“
Divina comedia, Dante Alighieri, Inferno Canto XIX
Dr. Alfred Huber, Komponist und Arzt in Kempten