Politik
Inflationäre Verwendung des Begriffs Faschismus
Ein Charakteristikum des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ist die Tatsache, dass der Akt der militärischen Aggression mit Argumenten gerechtfertigt wird, die sich den Anschein geben, historisch zu sein. Es wird behauptet, dass der jeweilige Gegner (sei es die Ukraine oder sei es die Nato) ein nationalsozialistisches Führungspersonal hätte und dem Faschismus huldige. Auch in westlichen Medien taucht im Gegenzug immer wieder ein ähnlicher Vorwurf auf. Das russische Regime hätte eine Ähnlichkeit mit den bekannten Phänomen des Faschismus. Im Westen taucht dieser Vorwurf allerdings in ungleich geringerer Frequenz auf.
Ungeachtet der politischen Kurzsichtigkeit, die ein solches Argument zwangsläufig beinhaltet, ist es doch erstaunlich, bei wie vielen russischen Staatsbürgern und bei wie vielen Angehörigen der westlichen Kultursphäre ein solches Statement verfängt. Faschismus ist zu einer Art Kampfbegriff geworden, um die moralische Verwerflichkeit des politisch Andersdenkenden zu dokumentieren. Wie sich Geschichte nicht wiederholt, ist auch der Begriff Faschismus in seiner ursprünglichen Bedeutung sinnvoll eigentlich nicht mehr verwendbar.
Es gibt allerdings Ähnlichkeiten des politischen Handelns, welche einen Vergleich mit der Vergangenheit nahelegen. Viel grundsätzlicher scheint uns allerdings die Frage zu sein, wie es zu faschistischem Handeln überhaupt kommen kann und wie sich Gesellschaften verändern müssen, um mit den Gesellschaften der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verglichen werden zu können. Roger Griffin hatte dazu schon vor gut 30 Jahren schlüssige Antworten. Umso mehr erstaunt es, dass sich derzeitige Debatten keineswegs um Definitionsfragen drehen, sondern lediglich alteingefahrene Reaktionsmuster bedienen.
Politisches Handeln muss nicht zwangsläufig richtig und ethisch korrekt sein, auch wenn es nicht faschistisch im eigentlichen Sinn ist. Nicht nur in den internationalen Reaktionen, sondern auch in den nationalen Diskussionen fast aller westlicher Demokratien kommt dies aus unserer Sicht zu kurz. Mit einer Etikettierung ist nichts gewonnen.
Vielleicht hätten wir der Ukraine nicht nur mit stärkerer Bewaffnung, sondern auch mit historischen Argumenten besser helfen können, wäre uns dies vor Jahren schon bewußt gewesen.