Notizen zum Schaffensprozess meiner Symphonie „Resistenza“
In der Neuen Züricher Zeitung war unlängst ein Interview mit dem amerikanischen Starinvestor Howard Marks abgedruckt. „Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war die beste Zeit der Menschheit“ war da von ihm zu hören und wer es wollte, glaubte es auch.
Ganz insgeheim fragte ich mich, was da in dieser, nämlich meiner Lebenszeit, so gut war und sofort fielen mir die multiplen Krisen dieser Zeit ein und schmunzelnd sagte ich mir, dass dies wohl nur für den Finanzkapitalismus gelten könnte.
Und doch ist etwas am 24.2.2022 in mir zerbrochen, was diese Zeit rückblickend gut scheinen läßt, nämlich die Sicherheit, dass unsere westliche Wertegemeinschaft in ihrer geschichtlichen Einzigartigkeit letztlich das „Ende der Geschichte“ auch global einleiten könnte.
Der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine hat mit einem Federstrich diese Gewissheit ausgelöscht. Sicher war auch der zweite Irakkrieg und seine Rechtfertigung durch die Amerikaner 2002 verstörend genug und er bewirkte in mir ein gewisses Misstrauen der medialen Aufarbeitung gegenüber, zumal ja nur „embeded journalism“ zugelassen war.
Meine ganz persönliche Antwort darauf war die Komposition des Op.18, (Re)actio, in welchem ich versuchte die medialen Kommunikationsmechanismen während eines Krieges zu analysieren und musikalisch darzustellen. Wenn man so will, hat die Politik schon damals mein Denken geprägt und meine Musik in eine bestimmte Richtung gelenkt.
Aber was macht Musik überhaupt zur politischen Kraft? Dazu hat mein Freund und Kollege Christoph Campestrini am 26.2. dieses Jahres in unserem Blog einen Übersichtsartikel geschrieben, welcher viele Spielarten der Näherung und Transzendierung auslotet.
Ganz deutlich wird dabei, dass Musik, wenig verwunderlich, immer dann eine eindeutige politische Botschaft hat, wenn sie gemeinsam mit dem Medium der Literatur daherkommt. Musik in reiner Form ist grundsätzlich unpolitisch und nur über die Mittel der Assoziation zu politisieren. Betrachtet man die reinen Melodien des „Avanti popolo“ oder der „Giovinezza“ so fällt hier nichts spezifisch Politisches auf, ihre Sprengkraft erhalten die Lieder lediglich über den Text und ihre daher eindeutige politische Zuordnung.
Typischerweise hat man beim War Requiem von Britten ja sogar in der Sängerbesetzung der UA politische Akzente gesetzt, um nur ja keine Irrtümer möglich zu machen.
Die Form einer Symphonie scheint dagegen für eine politische Aussage denkbar ungeeignet, auch wenn Nikolaus Harnoncourt genau das Politische in der 5. Symphonie von Beethoven zu hören vermeinte. (siehe Proben mit dem Chamber orchestra of Europe bei der Styriarte 2007)
Im Unterschied zu meinen sonst oft akribisch geplanten Kompositionen bin ich an die Resistenza Symphonie sehr spontan herangegangen. War der Plan ursprünglich, eine klassische viersätzige Symphonie zu schreiben, so ließ ich die Idee rasch fallen. Schon in den ersten Überlegungen schwang der Wunsch mit, den systemimmanenten Mangel an politischer Aussage der Musik durch Bilder bzw Film auszugleichen.
Und wenn es um ethische Bewertung politischer Handlungen geht und deren literarische Visualisierung, so ist der Italiener Dante Alighieri dabei wohl der Wirkmächtigste der gesamten Menschheitsgeschichte gewesen.
Die Dreiteilung der Symphonie im Sinne des Inferno, Purgatorio und des Paradiso war somit naheliegend.
Naheliegend war auch die Kooperation mit meinem Sohn Johannes, der an der FH Hagenberg in Oberösterreich Digital Arts studiert und die Idee für die Animation der Bilder hatte.
So entstand ein gemeinsames Drehbuch für den Film nach Maßgabe der zuvor komponierten Musik. Die italienischen Opernkomponisten des 19. Jahrhunderst hätten ihre Freude an uns gehabt, so eindeutig galt in unserer Kooperation das „prima la musica“. Ganz bewusst wollten wir keine Filmmusik schaffen, welche gewöhnlich ja illustriert und bestenfalls auch Emotionen weckt, aber nie das Heft des Handelns in Händen hält.
Weiterlesen: Musik als Selbstvergewisserung (Teil 2)